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Von Mikroorganismen, Mykorrhizen, Mulchen und … Mäusen

„Aktuelles zur Bewirtschaftung von WiesenObst-Flächen“ am 07.09.2020 in Schlat

An einem sonnigen Montagnachmittag ist es reichlich viel verlangt, auf den Boden zu schauen und Holzspäne zu betrachten, wenn man den Blick über Schlat und auf die frühherbstlichen Drei Kaiser Berge genießen könnte. Aber für die 60 Teilnehmer, die Jörg Geigers Einladung nach Schlat gefolgt sind, dreht sich für die nächsten Stunden alles um WiesenObst – und dabei geht es um weit mehr als Obstbäume und die Wiesen auf denen sie stehen.

In seiner Einführung beschreibt Geiger die WiesenObst-Flächen als ein ökologisches System, in dem ganz unterschiedliche Organismen leben und damit anderen das Leben und Überleben ermöglichen. ‚Hauptziel sei es, das Miteinander der oberirdischen und unterirdischen Organismen zu unterstützen, die Interaktionen von Bäumen, Gras, Kräutern, Vögeln und Insekten genauso wie Regenwürmer, kleinste Bodenlebewesen und Pilzen (Mykorrhizen). ‚Gegenseitig geben sie sich das, was sie selber nicht haben‘ sagt Geiger.

Streuobstwiesen zählen damit zu den sogenannten Permakulturen: Eine auf Dauer (‚permanent’) existierende Gemeinschaft von Obstbäumen, Beerenbüschen, Gras und tiefwurzelnden Kräutern auf einer Fläche. Permakulturen orientieren sich so eng wie möglich an der Lebensform einer waldartigen Landschaft. Und das kann nur durch gesunde Böden und vielfältiges Bodenleben gelingen. Beides ist die Voraussetzung für hochwertige WiesenObst Früchte.

Und damit geht es hinaus auf die Obstwiesen. Nach einer kurzen Wanderung stehen wir am Rand einer Fläche mit über 25 verschiedenen Mostbirnen-Sorten auf starkwachsenden Unterlagen. Viele Altbestände wechseln sich mit einigen Hektaren Neupflanzungen ab. In der Manufaktur ist Jörg Geiger auf den Rohstoff „Birne“ angewiesen ist. Schon deshalb war es immer schon sein Anliegen, dem Verfall der alten Birnbäume entgegenzuwirken. Vor rund 10 Jahren hat er damit begonnen, gezielt Neupflanzungen mit alten Mostbirnensorten anzulegen.

Die Aufpflanzung erfolgte nach dem „Bleiber-Weicher Prinzip“: Zwei unterschiedliche Birnen-Sorten werden im Wechsel und in geringem Abstand in der Reihe gepflanzt. Im Lauf der Zeit zeigt sich welche der beiden Sorten besser gedeiht. Die schlechtere wird spätestens nach 20 Jahren gerodet; dadurch entsteht das typische, uns bekannte Bild der WiesenObst-Flächen – die Bäume stehen in vergleichsweise großem Abstand voneinander.

Die Manufaktur Geiger verarbeitet WiesenObst Äpfel und Birnen, bei den Nachpflanzungen konzentriert sich Geiger jedoch auf Birnen. Das hat zwei Gründe: Zum einen werden in der Manufaktur deutlich mehr Äpfel als Birnen angeliefert. Zum anderen zeigen die Apfelbäume auf den Streuobstflächen bislang eine deutlich größere Vitalität und sind insgesamt widerstandsfähiger gegenüber dem sich ändernden Klima.

Der Birnenbestand im Kreisgebiet sei schon deutlich geschrumpft und wird auch weiter zurückgehen, da immer mehr Bäume absterben, sagt Geiger. Unter den sich rasch verändernden klimatischen Bedingungen kann der Birnenbestand aber nicht innerhalb von 10 Jahren im notwendigen Maß aufgebaut werden; man muss zunächst Erfahrungen in Bezug auf Wachstum, Resistenzen und Fruchtqualität sammeln: erst dann kann man entscheiden, welche Sorten man sinnvollerweise wieder anpflanzt um dem Birnbaumschwund erfolgreich entgegenzuwirken.

Hierzu ist Grundlagenforschung notwendig. Auch im Hinblick auf den vom Verein eingereichten Antrag auf Eintragung einer geschützten Ursprungsbezeichnung beim Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Dafür muss u.a. nachgewiesen werden, dass Früchte von starkwachsenden Unterlagen eine höhere Wertigkeit haben als konventionelle Früchte aus anderen Anbauformen. Eine entsprechende Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Geisenheim bereits in Auftrag gegeben. Arbeitstitel: „Inhaltsstoffe alter Obstsorten in Bezug auf die Anbauform“. 

Einen Baum pflanzen – wie und mit welcher Sorgfalt das geschieht, entscheidet maßgeblich mit über dessen Entwicklungschancen und Lebenserwartung. Jörg Geiger bearbeitet zunächst den Boden. Dann wird die Baumscheibe mit Karton ausgelegt und darüber Hackschnitzel ausgebracht.  Sie enthalten große Mengen Lignin – der ‚Stoff‘ der dem Xylem, den ‚Transportleitungen‘ in Pflanzen, Stabilität verleiht. Lignin ist sehr reich an Kohlenstoff und damit höchst attraktiv für verschiedene Pilzarten, die Hackschnitzel sehr bald kolonisieren und mit dem Abbau beginnen und damit die Grundbedingungen für die Humusbildung schaffen. Das wiederum ruft vielfältige Bodenlebewesen auf den Plan. Es ist diese biologische Vielfalt von Bodenorganismen und Bodenmikroben, die, kombiniert mit dem sich ausweitenden Netzwerk der Mykorrhizen den Boden verbessert und die Bäume optimal mit Nährstoffen versorgt. Je höher die Diversität – unterirdisch und oberirdisch – desto besser funktioniert das Gesamtsystem ‚Streuobstwiese‘. Gesunde Bäume und geschmacksintensive Früchte sind ein Ausdruck dessen.

Man ist was man ißt – das gilt im übertragenen Sinne auch für Bäume. Gesunde Ernährung ist eine Voraussetzung für gesunde, widerstandsfähige Bäume. Jörg Geiger erläuterte das beim Thema „Birnenverfall“. Die alte Weisheit lautet „Heute rot, in drei Jahren tot“. Birnenverfall ist die Hauptkrankheit alter, hochstämmigen Birnbäume. Ursache ist Nährstoffmangel, aber auch die sich ändernden klimatischen Bedingungen.

Um die Nährstoffversorgung gerade für Birnbäume weiter zu verbessern, setzt Geiger die Technik des „chaotischen Mulchens“ ein: es wird immer nur ein Teil der Fläche gemulcht, so dass zu jeder Zeit blühende Pflanzen im Bestand stehen. Diese blühenden Pflanzen dienen nicht nur Bienen als Nahrungsgrundlage; es siedeln sich zudem weitere Nützlinge an, welche als natürliche Schädlingsbekämpfer agieren. Gemähtes oder gemulchtes Gras wird im Traufbereich belassen.

Aber auch Mulchen will gelernt sein. Zu Problemen mit Schorf kann es kommen, wenn nicht genug Regenwürmer vorhanden sind, um das Laub ausreichend zu zersetzen. Kupfer in Pflanzenschutzmitteln des Erwerbs-Obstanbaus schädigt die Kleinlebewesen und somit können diese das Laub nur ungenügend abbauen. Die Schorfsporen können überwintern und im nächsten Jahr wieder Konidien bilden. Geiger schafft Abhilfe, indem er bewusst einen späten Schnittzeitpunkt für das Gras wählt, so dass die Sporen vom Grasboden nicht so leicht auf die Blätter geschleudert werden können.

Hackschnitzel und Mulche haben noch einen weiteren Nachteil: sie entsprechen dem Ideal jeder Wühlmausfamilie zum Thema ‚Schöner Wohnen‘. Die dichte Abdeckung bietet auch noch Schutz vor hungrigen Greifvögeln. Jörg Geiger rückt den Mäusen deshalb unterirdisch zu Leibe: er hat 2.000 Narzissen/Tulpenzwiebeln bestellt die in diesem Herbst ausgepflanzt werden. Die Nähe dieser Blumenzwiebeln vertragen die Mäuse gar nicht – aber menschliche Besucher können sich bereits jetzt auf die Blütenpracht des Frühjahrs freuen.

Gegen Schmierläuse arbeitet Jörg Geiger mit einem Schutzanstrich. Der Stamm des Baumes wird mit einer Mischung aus Algenkalk, Potasol und Kaolin behandelt. Die Nähstoffe des Algenkalks werden in dem Baum durch die Rinde aufgenommen. Gegen Rindenverletzungen z.B. durch Schafe, Abrieb vom Mulcher oder Traktor, hilft ein Wundverschluss aus Kuhmist, den Geiger mit einem Rupfensack direkt am Baum fixiert. Kuhmist enthält viele Enzyme, die den Baum bei seinem Selbstheilungsprozess unterstützen.

Ebenfalls von zentraler Bedeutung für einen vitalen Baumbestandes ist der optimale pH-Wert des Bodens. Dieser liegt auf Streuobstflächen zwischen 6,5 und 6,8.
Aus diesem Grund fordert der WiesenObst e.V. im Jahr der Neuanmeldung eine Bodenanalyse der angemeldeten Flächen. Nur durch einen optimal eingestellt pH-Wert erreichen die Bäume eine gute Vitalität. Der pH -Wert könne sehr einfach und auch günstig mit Kalk angeglichen werden, erklärt Geiger.

Eine Bestandsdüngung führt Geiger generell mit einer Mischung aus Hornspänen und Dolophos, einem Mineraldünger, durch. Beides dient der Bodenverbesserung und ist für den Biolandbau ideal. Um den Unkrautdruck bei Neupflanzungen zu senken, bearbeitet Jörg Geiger die Baumstreifen mit einer Scheibenegge. Außerdem gibt er Hackschnitzel aus Nadelholz auf den Streifen, das enthaltene Lignin führt – wie im ersten Teil des Blogs beschrieben – zur Ansiedelung zunächst von Mykorrhiza-Pilzen, und dann von zahlreichen Bodenlebewesen und Mikroorganismen. Gemeinsam sorgen sie für die Verbesserung des Bodens und eine gute Nährstoffversorgung der Bäume.

Auch Jörg Geiger versteht Streuobstwiesen als eine Permakultur, ein funktionierendes, produktives und sich selbst erhaltendes Ökosystem. Deshalb pflanzt er in den Reihen zwischen den Bäumen noch tiefwurzelnde Kräuter wie Melisse, Beinwell oder Dill. Diese Kräuter fangen auch einen gewissen Schädlingsdruck ab. Läuse siedeln zunächst an den Kräutern und locken damit Nützlinge wie Marienkäfer an. Zusammen mit ihren Nachkommen leisten die am Läuse-Büffet ganze Arbeit, die wenigen überlebenden Läuse richten an den Bäumen keinen nennenswerten Schaden mehr an.

Bei neu gepflanzten Bäumen ist das richtige Angießen von großer Bedeutung. Es sind die Wurzeln, die den Baum mit Nährstoffen versorgen. Geiger legt dazu ein sogenanntes Dachprofil am Baumstreifen an: es ist die Fläche unter dem Laubdach des Baumes. Die größte Wurzelaktivität findet innerhalb dieser Zone und etwas darüber hinaus statt. Wenn innerhalb des gesamten Dachprofils angegossen wird, können die Wurzeln das Wasser gut aufnehmen und wenig fließt ungenutzt ab.

Mit Maßnahmen zur Bodenverbesserung, Sorgfalt bei Neupflanzungen und Baumpflege, die auf das Funktionieren des gesamten Ökosystems abzielt, läßt sich viel erreichen. Aber das ändert nichts daran, dass angesichts der Klimakrise, die Birnen in besonderem Maße betrifft, Neuzüchtungen gebraucht werden. Aber Grundlagenforschung im Bereich Streuobstanbau gibt es kaum.

Zusammen mit einem kleinen Team hat Jörg Geiger jetzt das Birnenprojekt ‚Elisabeth‘ begonnen. (‚Elisabeth‘ – in memoriam einer Schwäbin, die sich zeitlebens für schwäbische Traditionen vor allem in Küche und Garten eingesetzt hat). Auf seinen Flächen wählte Geiger gemeinsam mit dem renommierten Obstbaumspezialisten und Züchter Dr. Walter Hartmann ‚Elternsorten‘ aus. An einigen Zweigen der ‚Mutterbäume‘ wurden die Blüten zunächst abgedeckt und dann von Hand mit dem von den Blüten der ‚Vaterbäume’ ‚geernteten‘ Pollen bestäubt. Noch vor Jahresende sollen aus den aus dieser Kreuzung entstandenen Früchten Samen gewonnen werden. Die nächsten Schritte bei der Zucht finden dann am Bayrischen Obstzentrum unter der Leitung von Dr. Michael Neumüller statt. Die ersten beiden Jahre werden die Sämlinge dort in einem Gewächshaus verbringen, bevor sie dann auf einer Fläche bei Schlat ausgepflanzt werden. Und bis klar ist, ob eine oder mehrere der Kreuzungen ein Erfolg sind, werden 10 oder mehr Jahre vergehen. Das Birnenprojekt ist auf Zukunft angelegt – damit es auch in Zukunft noch WiesenObst Birnen geben wird.

Gerade auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist es wichtig, auf ein Umdenken in der Bevölkerung hinzuwirken: Wir brauchen wertige, echte Lebens-Mittel (im engsten Sinne des Wortes), die nachhaltig erzeugt werden, so Geiger. WiesenObst ist ein gutes Beispiel dafür, dass ganzheitliches Denken auf den Flächen eine große Rolle spielt.

Autor: Marianne Landzettel, Katrin Schimmele

Nistkästen, Hochstämme und Heumahd - Alles unter Kontrolle

Nicht auf jeder Streuobstwiese in Schwaben wächst schwäbisches WiesenObst.

Der Verein Schwäbisches Wiesenobst e.V. hat Kriterien definiert: bei schwäbischem WiesenObst geht es um die Erhaltung einer Kulturlandschaft durch nachhaltige Bewirtschaftung. Wer seine Fläche bei WiesenObst registrieren lässt muss diese Kriterien erfüllen – und das macht Kontrollbesuche durch einen unabhängigen Auditor nötig.

Wie läuft so eine Kontrolle ab, fragten wir uns – mein Mann, Martin Kunz, verantwortlich für die Kasse bei WiesenObst und ich, von Beruf Journalistin. Mitte Juli führte Roland Sauter von ABCert drei Tage lang die WiesenObst Kontrollen durch. Kontrolliert werden muss die mathematische Wurzel aus der Zahl der Flächenbesitzer plus 1. Für WiesenObst heißt das: 15 Betriebe. Dazu kamen alle zertifizierten Bioflächen, die jährlich kontrolliert werden. Katrin Schimmele von WiesenObst organisierte die Route und wir kamen mit.

Wir starten früh. Laut Wetterbericht wird der Tag heiß und sonnig, aber jetzt, am Morgen, ist es noch angenehm kühl.
Die erste Fläche auf unserer Route liegt an einem Hang am Waldrand. Von dort hat man einen weiten Blick über das Tal in Richtung Göppingen. ‚Idylle‘ ist ein Wort, das Journalisten selten verwenden, aber diese Streuobstwiese ist an diesem Morgen genau das: das Gras ist noch feucht vom Tau, Vögel singen in einer Hecke, ein paar Kuhglocken sind zu hören und ganz in der Nähe meckern einige Ziegen. Roland Sauter und Katrin Schimmele interessiert das wenig. Sie sind über eine Karte gebeugt, auf der die Schläge eingezeichnet sind, und vergleichen sie mit dem Punkt, den Google Earth als unseren Standort identifiziert. Wir stehen auf der richtigen Wiese – aber welche Bäume gehören zum WiesenObst Stück, welche schon zum Nachbarn?

Für die Registrierung einer Fläche bei WiesenObst müssen nicht nur die Grundkriterien erfüllt sein, z.B. stark wachsende Unterlagen und eine bestimmte Baumdichte pro Hektar, die nicht überschritten werden darf, sondern es müssen auch mindestens vier Bonuspunkte durch die Erfüllung einiger Wahlkriterien erreicht werden.

In Katrin Schimmeles Datei sind neben dem Namen des Besitzers die Nummer des Schlages verzeichnet, die Fläche, die Zahl der Bäume, und Angaben bezüglich der Zusatzkriterien. Der Besitzer dieser Streuobstwiese hat ‚alte Sorten‘, ‚Nachpflanzung‘, ‚Nisthilfen‘ und ‚Hochstämme‘ angegeben.

Roland Sauter prüft zunächst die Grundkriterien und zählt die Bäume. Alles in Ordnung, sie stehen nicht zu dicht und in einer Lücke wurde nachgepflanzt. Der erste Bonuspunkt ist gesichert. Beim Gang durch die Wiese sieht er eine Reihe von Nisthilfen und bei den meisten Bäumen ist an den Früchten sofort erkennbar, dass es sich um alte Sorten handelt. Aber Hochstämme sieht er keine. Im Gespräch mit Katrin Schimmele wird schnell klar, dass es hier noch Erklärungsbedarf von Seiten des WiesenObst Vereins gibt: bei einem Hochstamm beginnt die Verzweigung erst ab einer Höhe von 1,80, eine stark wachsende Unterlage ist nicht automatisch ein Hochstamm. Das muss noch besser geklärt werden. Ein Problem gibt es bei dieser WiesenObst Fläche dennoch nicht. Der Besitzer mäht das Gras nicht sondern macht Heu, und das ist als baumverträgliche Unternutzung einen Bonuspunkt wert. Katrin Schimmele ist beeindruckt mit welcher Sorgfalt hier geheut wurde: an allen Bäumen gibt es tief herabhängende Zweige. Häufig werden sie aus Bequemlichkeit gekürzt, damit sie bei der Mahd nicht im Weg sind.

Die zweite Fläche, die es zu kontrollieren gilt, liegt ganz in der Nähe. Hier wurden die Bäume in Reihen gepflanzt und stehen relativ dicht, aber zwischen den Reihen ist vergleichsweise viel Platz. Da es nicht um Einzelabstände sondern um die Baumzahl pro Fläche geht, ist alles in Ordnung. Und der weite Abstand zwischen den Reihen macht auf dieser Fläche die ‚baumverträgliche Unternutzung‘ möglich: hier weiden die Ziegen, die wir schon von Ferne gehört hatten. Von den Bäumen trennt sie ein Elektrozaun und das ist gut so: Ziegen stellen sich nicht nur auf die Hinterhufe, um an den Zweigen zu knabbern, sie können sogar klettern.

Wir steigen wieder ins Auto und sind auf dem Weg zur nächsten Fläche. Zunächst scheint es sich um eine gewöhnliche Streuobstwiese zu handeln, doch dann entdecken wir zwei Reihen eng gepflanzter Bäume auf schwachwüchsigen Unterlagen.

Roland Sauter konsultiert die Unterlagen. Die Reihen mit Tafelobst sind klar als bewirtschaftete Fläche innerhalb der Streuobstwiese gekennzeichnet. Der Besitzer ist anwesend und erklärt uns, dass er hier moderne Sorten gepflanzt habe, Obst für den frischen Verzehr. Solange die Früchte getrennt geerntet werden und das Tafelobst von den schwachwüchsigen Unterlagen nicht als WiesenObst abgeliefert werde, sei das kein Problem, sagt Sauter und beginnt mit der Kontrolle auf der beim WiesenObst Verein angemeldeten Fläche. Hier stehen Boskop, Blenheim, Jakob Fischer und weitere alte Sorten. Er habe fünf Enkelkinder und für jedes habe er einen Baum mit dessen Namen gepflanzt – der jüngste ist Lucas. Er stelle selbst Saft her, sagt der Besitzer, den Rest liefere er ab. Hier wird optisch besonders deutlich, wie sehr sich moderne Pflanzungen und Streuobstwiesen unterscheiden: in den beiden Reihen Tafelobst stehen 60 Bäumchen dicht gedrängt und wirken beinahe wie eine Hecke,  die 135 WiesenObst Bäume sind auf einer um das Vielfache größeren Fläche verteilt, jeder Baum hat Platz, eine mächtige Krone zu entfalten. Noch etwas anderes fällt auf: das Gras zwischen den Bäumen wird nicht zu Heu gemacht, sondern regelmäßig gemäht. Das erleichtert die Arbeit, aber die Artenvielfalt ist geringer, Gras und Moos dominieren, es gibt wenig zweiblättrige Pflanzen, von verschiedenen Kleearten und wilden Möhren bis zu Frauenmantel, Sauerampfer, Schaumkraut und Storchschnabel.

Die nächste Fläche, die wir besuchen, ist lang und schmal. Der Besitzer erwartet uns schon. Die Wiese existiere seit 1922, erzählt er uns, als seinem Schwiegervater die Arbeit zu viel wurde, habe er sie eigentlich verkaufen wollen, aber seine Frau habe nur gesagt: ‚Das übernehmen wir‘. Seit dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren kümmert sich allein um die Bäume, nur für die Ernte kommen die erwachsenen Töchter mit ihren Familien aus verschiedenen Teilen Deutschlands um zu helfen. Jeder Baum hat seine Geschichte. Der älteste ist eine Gewürzluike die demnächst 100 Jahre alt sein wird. Man sieht ihr das Alter an, aber Früchte trägt sie noch immer, wenn auch nicht mehr so viele. Die tiefhängenden Zweige sind abgestützt. Liebevolle Pflege heißt nicht, dass jeder Baum wachsen kann wie er will: Wir sehen Baumerziehung mittels waagrechter Hölzer, die bestimmte Zweige etwas nach unten drücken, damit sich der Leitast besser entwickeln kann.

Inzwischen ist es später Vormittag und heiß. Die nächst Fläche ist groß, mit vielen alten Birnen- und Apfelsorten, dazu Mirabellen, Kirschen und anderem Steinobst. Im Schatten der Bäume ist es noch angenehm kühl, es riecht nach warmem Gras, außer dem Zirpen der Grillen und dem leisen Rauschen des Windes in den Blättern ist nichts zu hören. Roland Sauter und Katrin Schimmele klären die Frage, ob für diese Fläche bereits eine Bodenprobe vorliegt. Bei mir ist die Versuchung groß, mich ins Gras zu legen und durch die Baumkronen in den tiefblauen Sommerhimmel mit den dahin driftenden Kumuluswölkchen und gefiederten Wolken zu schauen.

Am Nachmittag zeigen sich die weniger schönen Seiten des Kontrolleursdaseins. Reichenbach im Täle liegt in einem Empfangsloch, das GPS funktioniert nicht – was immer noch besser ist, als vom SatNav in die Irre geführt zu werden.

Am nächsten Tag leitet es uns über einen Parkplatz auf immer schmalere Straßen und schließlich einen Weg, der vor einer Hecke endet während die SatNav Stimme insistiert, es gehe geradeaus weiter. Aber zurück zu Reichenback im Täle. Wir suchen mit Hilfe der Google Satellitenaufnahme und der Flurkarte nach Anhaltspunkten. Eine Fläche liegt am Wald, eine weitläufige, extensive genutzte Wiese mit einigen wunderschönen Baumriesen.

Die Suche nach der nächsten Fläche gestaltet sich problematisch. Katrin Schimmele hat die Kontrollbesuche nicht nur angemeldet, sondern auch gewissenhaft die Termine koordiniert. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir im dritten Anlauf das richtige Stückle gefunden haben, aber wir stehen vor einem verschlossenen Tor.

Fast eine halbe Stunde suchen wir nach einem anderen Zugang – vergeblich. Und was wir über den Zaun hinweg sehen ist wenig vielversprechend: das Gras ist über hüfthoch. ‚Baumverträgliche Unternutzung heißt nicht, gar nichts zu machen‘, murmelt Roland Sauter. Auch die Bäume sehen ungepflegt aus, alles macht einen verkommenen Eindruck. Und eine unbewirtschaftete Fläche dient keineswegs dem Artenschutz, erklärt er, im Gegenteil, die Artenvielfalt nimmt ab.

Wir haben an diesem Tag viele sehr gepflegte, aber in ihrer Art sehr unterschiedliche Streuobstwiesen gesehen, aber der letzte Besuch zeigt, wie wichtig Kontrollen sind.

garantierte herkunft / tief verwurzelt / echter geschmack