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Streuobst mit Marktwert

Die Bedeutung von Obstwiesen geht weit über ihren marktwirtschaftlichen Wert hinaus: Als landschaftsprägendes Kulturgut bieten sie Naturgenuss und Erholung vom Alltagsstress. Damit diese wertvollen Biotope erhalten bleiben, braucht es innovative und kreative Ideen für die Nutzung der überwiegend alten Obstsorten mit ihren besonderen Eigenschaften.

Streuobstwiesen

1. Werte und Wirtschaftlichkeit

In heutigen Zeiten, in denen das wirtschaftliche Denken große Teile unseres Handelns bestimmt, spielt die Rückbesinnung auf die heilenden Kräfte der Natur eine zunehmende Rolle.

Der wahre Wert einer Landnutzung liegt nicht nur in ihrer Wirtschaftlichkeit – immer mehr Menschen erkennen heute, was Johann Caspar Schiller schon im 18. Jahrhundert wusste. Für den herzoglichen Hofgärtner (und Vater des Dichters Friedrich Schiller) diente die Natur auch der Gesunderhaltung unserer Seele. Eins zu sein mit der Natur bedeutet Kraft daraus schöpfen zu können. Caspar Schiller war ein Vordenker seiner Zeit und erkannte dies als hohes Gut.

 

Die Frage der Unterlage

Der Anbau von Tafelobst auf kleinen Baumformen war bereits im 18. und 19. Jahrhundert bekannt. Wer die Hochblüte des Anbaus auf schwachwachsenden Unter-lagen und des Formobstbaus aus dieser Zeit noch heute erleben möchte, dem sei ein Besuch im Potager du Roi in Versailles bei Paris empfohlen.
Auch bei uns war damals das Wissen vorhanden, wie man in den Gärten Bäume auf schwachwachsenden Unterlagen kultiviert, um feines Tafelobst zu gewinnen. Im Landschaftsobstbau hingegen ging es um andere Gewichtungen und Anforderungen. Es musste eine langfristige und nachhaltige Doppelnutzungs-form gefunden werden. In den meisten Gebieten war es die Kombination von Obstnutzung zur Verwertung mit anfangs als Ackerland offen gehaltenem Boden, der später einer Wiesennutzung wich. So entstand vor über 200 Jahren die Kulturlandschaft mit Obstwiesen.

 

Starkwachsende Unterlagen waren notwendig, um langfristige und dauerhafte Erträge mit weniger pflegeintensiven Baumformen zu erreichen. Entsprechend der Unternutzung bedurfte es auch einer gewissen Stammhöhe, die sich heute in der Rückschau aus ornithologischer Sicht als wertvoll erweist. Auf die Qualität der Früchte hat die Stammhöhe keinen Einfluss. Die Unterlage selbst bestimmt neben Resistenzeigenschaften den Lebenszyklus des Baumes. Die starkwachsenden Unterlagen (Webcode 6260902, siehe Online-Inhalte S. 9) sind von Natur aus darauf ausgerichtet, ihren eigenen Standraum zu verteidigen. Für Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte investieren sie ihre Kraft in das vegetative Wachstum, bevor sie in die generative Ertragsphase eintreten und versuchen, ihre Art durch viele Samen zu vermehren. Um die eigene Art möglichst weit zu verbreiten, war es aus evolutionärer Sicht günstiger, nicht jedes Jahr die gleiche Menge an Früchten zu liefern, sondern stattdessen alle 2 bis 3 Jahre (= Alternanz) durch ein Übermaß an Früchten Tiere aus weiter Entfernung anzulocken. Bei der Rückkehr in ihre Reviere hatten sie das Gefressene verdaut, nur die unverdaulichen Samenkerne wurden weit entfernt von ihrem Ursprungsort ausgeschieden.

 

Langlebige Obsthochstämme

Für diesen evolutionären Kunstgriff brauchen die Bäume ein ausgeprägtes Wurzelsystem. Die Wurzeln dienen als zusätzliches Speichermedium für die Zucker, die in den Blättern auch in fruchtarmen Jahren gebildet werden. Diese Zuckerreserven stehen dann in Jahren mit starkem Fruchtbehang zur Verfügung und können bei Bedarf in anderen Stresssituationen mobilisiert werden. Schwachwachsende Unterlagen verfügen nicht über diese Speicherkapazität und müssen daher stärker nachversorgt werden.

Natürlich findet die Nährstoffaufnahme nur in den oberen sauerstoffhaltigen Bodenschichten statt. Trotzdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass wir von einem Birnbaum bei oberflächlicher Betrachtung gerade einmal die Hälfte sehen – die andere Hälfte ist das unterirdische Wurzelsystem, das unseren Blicken verborgen bleibt. Aus den tieferen, auch in trockeneren Zeiträumen wasserführenden Schichten pumpt der Baum mit seinen Wurzeln nicht nur Wasser nach oben, sondern auch darin gelöste Mineralstoffe. Diese Mineralien reichern sich in den Früchten stärker an, was den Unterschied im Fruchtgeschmack bei der gleichen Sorte erklärt: Er ist abhängig von der Wahl der Unterlage. Hinzu kommt auch noch, dass wir bei „modernen“ Unterlagen- Selektionen stets auf ein günstiges Blatt-Frucht- Verhältnis und eine hohe Produktivität setzen. Da-durch verteilt sich das Wenige, das bedingt durch die relativ geringere Wurzelmasse aus dem Boden aufgenommen wird, noch mehr. Bei Tafelobst und darauf angepassten Sorten ist das kein Problem. Für Verarbeitungsprodukte, bei denen der das Aroma kaschierende Zucker fehlt, ist es eine Katastrophe. 

Die starkwachsenden Unterlagen sind kennzeichnend für Wiesenobst und Streuobstwiesen. In Württemberg entlang des Albtraufs ist das Problem ein überalterter Bestand – „alte Männer pflegen alte Bäume“. Die Produktivität der Bäume lässt natürlich mit zu-nehmenden Alter nach. Wenn man dem Weinbau aber Glauben schenken darf, dann ist die Ausdruckskraft und das Potenzial von Weinen alter Weinberge höher. Mir gibt dieser Ansatz ein gutes Gefühl: Mit unseren alten Bäumen sind wir all denen, die uns mal schnell kopieren wollen, 50 bis 150 Jahre voraus. Heute geht es deshalb um eine möglichst flächige Erhaltung von rund 30 000 ha alter Streuobstwiesen. Der Apfelsaft alleine wird die Wertschöpfung nicht mehr erzielen können, weil hier das Potenzial nicht abgerufen wird und das süße Produkt sich andernorts schnell und billiger produzieren lässt.

 

Wirtschaftlich produziertes Mostobst

Äpfel zur Saftproduktion lassen sich heute in Heckenkultur auf mittelstark wachsenden Unterlagen mit einer Leistung von bis zu 80 t/ha produzieren. Das beweisen uns fachlich versierte Kollegen aus Frankreich, England und Nordspanien, die damit ein gutes Einkommen erzielen, obwohl in diesen Ländern das Lohnniveau eher hoch ist. Die Voraussetzungen dafür sind Böden mit guter Ertragszahl, möglichst ebene und große Flächen, minimaler Arbeitskräfteeinsatz und maximale Technisierung von der Pflanzung durch den Lohnunternehmer bis zur Ernte mit selbst-fahrenden Auflesemaschinen, die eher an Zuckerrübenvollernter erinnern und zumindest theoretisch eine Aufleseleistung von bis zu 100 t/h haben (siehe auch O&G 8/2019, S. 6-13). Die andere, in Frankreich beliebte Variante sind Räumpaddel im Frontanbau am Traktor. Über den Heckanbau erfolgen Aufnahme, Grobreinigung und Überladen mittels Kettenförderbänder auf den gezogenen Hänger. Der verbleibende Streifen von Äpfeln, die zwischen den Stämmen liegen bleiben, wird mit dem integrierten Luftgebläse gleich in die nächste Fahrgasse geblasen. So oder ähnlich produziert man heute Verwertungsobst zu Preisen von 12-16 €/dt wirtschaftlich erfolgreich.

Der Stammschüttler wird zum ersten Mal im Juni ein-gesetzt, um den Ertrag durch Abschütteln zu regulieren und so die Alternanz einzugrenzen. Am Ende der Ernte wird er nochmals gebraucht, um die restlichen Früchte abzuschütteln. Für die Kollegen in Frankreich ist dies auch die einzige Zeit, in der sie Fremdarbeitskräfte einsetzen. Am Ende der Saison oder spätestens nach 3 Jahren ist das Planierschild wichtig, um die Fahrspuren zu egalisieren und wieder einen ebenen Boden zu generieren.

Auch in Deutschland haben wir heute eine – wenn auch abgemilderte – Form der Produktion von Verwertungsobst. Sie ist besonders dann interessant, wenn sich die Ernte am Ende mit Vertrag als Bio- Verwertungsobst zu Preisen von 20-28 €/dt vermarkten lässt. Diese Art der Produktion ist genauso wie die Produktion von Tafelobst auf schwach wach-senden Unterlagen überhaupt nicht zu verurteilen. Sie ist zweckmäßig und unter monetären Gesichts-punkten die richtige Form.
Doch haben wir langfristig die gleichen Voraussetzungen wie andere Länder, um flächig auf den Industrie-Mostobstanbau zu setzen? Oder haben wir nicht vielleicht Potenziale in den Beständen und Sorten, die wir gar nicht mehr nutzen und verstehen?

Es geht nicht darum, auf die Tränendrüse zu drücken, aber „Mosttrinker sind Naturschützer“ war ein durch-aus sinnvoller Slogan (siehe O&G 9/2019, Kommentar S. 5). Und ohne den gesellschaftlichen Aufschrei vor 40 Jahren wären die Streuobstflächen im Land heute noch deutlich kleiner.

Streuobstwiesen

2. Vorzüge alter Sorten nutzen

Für die Verwertung zu Saft oder Most, aber auch für die Brennerei werden auf Obstwiesen heute noch alte Sorten kultiviert, die sich durch hohe Säure- und Gerbstoffgehalte auszeichnen.

Viele Streuobstsorten wurden bereits vor der Erfindung und späteren Verbreitung der Pasteurisation (kurzzeitige Erwärmung auf mindestens 60 °C) selektiert und vermehrt. Alte Sorten zur Tafelobstproduktion sind jedoch auf Grund ihres geringen Ertragsniveaus und fehlender Resistenzeigenschaften heute nur noch im Liebhaberobstbau sinnvoll und für die Massenproduktion ungeeignet.

Der große Anteil der vorhandenen Wiesenobst-Menge setzt sich aus Sorten zusammen, die wegen ihrer hohen Säure- und/oder hohen Gerbstoffgehalte in erster Linie zur Produktion von Obstwein Verwendung fanden. Der einfachere „Schwäbische Most“ wurde oft mit Wasser vermischt getrunken (siehe O&G 9/2019). Auch das Dörren war ein wichtiger Verwertungszweig. Damit wurden die Früchte für den Winter haltbar gemacht. Noch 1904 war Württemberg Mostobst-Importland – selbst in diesem ertragsstarken Jahr wurden 5937 Waggons Mostobst aus dem Ausland eingeführt. Die Destillation (Brennerei) gewann in der Fläche erst nach dem 1. Weltkrieg mit der Reichsbranntweinverordnung an Bedeutung.

Will man das volle Potenzial alter Obstsorten auch heute noch abrufen, muss man sich auf die Stärken dieser eher unproduktiven und oft unscheinbaren Äpfel und Birnen besinnen und Produkte herstellen, die diese Vorzüge auch nutzen. Ein Schwäbischer Cider ist hier ein Ansatz, der sich gewiss nicht verstecken muss und bereits 2014 bei der Weltmesse für Apfel-wein und Sidra in Gijon in Spanien den 1. Platz unter den Besten belegt hat (siehe dazu auch S. 4).

 

Vom Mostobst Import- zum Exportland

Der große Durst auf Most war wohl auch ein Grund für dessen Niedergang. Ein Jahresverbrauch von 1000 Liter war in einem guten schwäbischen Haushalt durchaus üblich, wiewohl diese Menge kostengünstig selbst produziert werden konnte und musste. Mit der aufkommenden Möglichkeit der Pasteurisation ent-wickelten sich die gewerblichen Verarbeiter weiter und ergriffen nun die Chance, haltbaren, süßen Saft abzufüllen und damit einen neuen Markt zu erschließen. Im häuslichen Maßstab war das so nicht umzusetzen. Damit reduzierte sich die Kelterei oft nur aufs Pressen für die Herstellung von einfachem Most. Viel Know-how um die hochwertige Obstweinbereitung ging verloren, sie nahm nicht den Weg der Qualität wie beim Traubenwein. Mit der Erfindung der technischen Kälte und schließlich der Abfüllung auf die Flasche trat das Bier seinen Siegeszug an und verdrängte mit seiner gleichbleibenden Qualität auch in den Haus-halten das Alltagsgetränk Most.

Wer sich heute ernsthaft nach guten Rezepten in der Obstweinbereitung umschaut, dem sei die Literatur des 19. Jahrhunderts empfohlen. Die Keltereien entwickelten sich gut mit den neuen Möglichkeiten, es entstanden viele erfolgreiche Familienbetriebe. Das Geschäft war auch sehr einfach: Ohne sich um die Vermarktung in der Flasche kümmern zu müssen, konnte man zu auskömmlichen Preisen lose ab Kelterei im Tankzug verkaufen. Die großen Abfüller im Norden brauchten zusätzliche Obstmengen aus dem Süden. Das System kam erstmals durch die billigeren Importe von Konzentraten aus der Türkei, dem Iran und später aus China ins Wanken. Heute sind es vor allem die aus Polen kommenden Mengen an Direktsaft, die günstiger produziert werden können und damit die Preise für die lose Vermarktung und somit auch für die Auszahlung des Mostobstes kaputt machen. Hinzu kommt, dass der Absatz von Apfelsaft in der Glasflasche stark rückläufig ist – auch durch die neu auf-gekommene Diskussion um den „bösen Zucker“. In den letzten Jahren galt Bio-Mostobst als Heilsbringer, aber auch hier sind Sättigungstendenzen erkennbar bzw. es werden eben auch entsprechende Mengen aus dem Ausland kostengünstig importiert. 

Ein Großteil der Kunden (etwa 80 %) verhält sich opportunistisch, wenn es um den Preis geht. Die meisten Verbraucher kaufen einfache Produkte wie Wasser oder Saft eben nicht mehr im Fachhandel, sondern beim Discounter. Somit stimmen sie mit den Füssen ab und tragen weiter zur Absatzkrise bei den regionalen Vermarktern bei. Deshalb gilt es mehr denn je, wieder Produkte aus Wiesenobst her-zustellen, die dessen Potenzial auch nützen und geschmacklich hervorbringen.

 

Überprüfbare Kriterien für Streuobst

Der Begriff Streuobst hat sich in den letzten 40 Jahren in Baden-Württemberg bei den Verbrauchern etabliert. Heute bezeichnet er die Doppelnutzungsform aus Wiese und Obst als Momentaufnahme einer ursprünglich anders gedachten Landschaft. Was vor 100 Jahren eher an eine dichte, sehr regelmäßige Pflanzung erinnerte, sieht heute meist vereinzelt und verstreut aus, da zahlreiche Bäume nicht mehr gepflegt wurden und abgestorben sind.

Für die Erhaltung des Streuobstes haben viele gekämpft, und dies sei hier nicht nur der Form halber lobend erwähnt. Welche Bedeutung dieses landschaftsprägende Kulturgut hat, ist uns allen klar. Leider steht heute auf vielen Produkten „Streuobst“, obwohl ein transparenter Nachweis der Herkunft nicht geführt werden kann, was bei Kontrollen zu Beanstandungen führt. 

Aus diesem Grund wurde im April 2016 der Verein WiesenObst e.V. (www.wiesenobst.org) gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehören der Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg (LOGL), der Verband der agrargewerblichen Wirtschaft (VDAW), Slowfood Deutschland, das Schwäbische Streuobstparadies und der Verein zur Erhaltung und Förderung alter Obstorten, um nur einige der Initiatoren zu nennen. Neben den Zielen der Erhaltung und Förderung stand ganz konkret von Anfang an die Definition eines prüfbaren Kriterienkatalogs für Streuobstwiesen im Vordergrund. Diese unterteilen sich in für alle fest verbindliche Kernkriterien und ein Bonuspunktesystem für besondere Leistungen in Bezug auf Nachhaltigkeit, Naturschutz oder Biodiversität. Für die erfolgreiche Validierung und Aufnahme in die Datenbank sind pro Flurstück oder schlagbezogen 4 Bonuspunkte notwendig. Einen Bonuspunkt bringen beispielswiese der fachgerechte Schnitt oder die Bereitstellung von 5 bis 10 Nisthilfen. Einige Flächenanmelder hatten für ihre Stücke auch „ausschließlich Hochstämme mit einer Stammhöhe von mindestens 1,80m“ angemeldet. Geschätzt und auf den ersten Blick schien das richtig, doch bei der Prüfung wird die Messlatte angelegt und leider gab es 2019 keinen Betrieb mit einer echten Hochstammwiese. Die Registrierungen waren dennoch erfolgreich, die Anmelder konnten eine Reihe anderer Maßnahmen vorweisen und die erforderliche Zahl der Bonuspunkte erreichen.

Nach der erfolgreichen Prüfung erhält der Anmelder eine Bestätigung und kann Obst von seiner anerkannten Fläche als „WiesenObst“ zu einem Mehr-preis von 4 € bei der Annahmestelle anliefern. Davon bekommt der Anlieferer 3 € ausbezahlt, 1 € führt der Verarbeiter mit seiner Mengenmeldung an den Verein WiesenObst ab. Aus dieser mengenbezogenen Abgabe wird beispielsweise die externe Prüfung durch eine Kontrollstelle bezahlt. Aktuell sind bereits über 250 Flächenanmelder mit insgesamt 350 ha als WiesenObst registriert. Weitere Informationen finden Sie online, die Anmeldung erfolgt ausschließlich über www.wiesenobst.org. Ein Tipp für die ältere Generation: Vielleicht ist beim Ausfüllen des Online-Formulars die Zusammenarbeit mit der computerversierten Enkelgeneration auch gleich eine gute Möglichkeit, die Jugend einzubinden und für WiesenObst zu interessieren!

Die Kollektivmarke „Schwäbisches WiesenObst“ ist für den Verbraucher ein verlässliches System, das Nachhaltigkeit nachvollziehbar macht und langfristig Vertrauen und Akzeptanz schaffen kann.

Interview

3. „WiesenObst hat Potenzial!“

Herr Geiger, schon als Kind haben Sie Ihre Leidenschaft für Streuobst entdeckt. Was hat Sie daran besonders fasziniert?

Die Erkenntnis, dass ein großer Baum, der tief wurzelt sowie weniger und kleinere Früchte trägt und mehr Blattvolumen in Relation zu den Früchten hat, eben deutlich mehr Geschmack in den Verarbeitungsprodukten bietet.

Die Manufaktur Geiger ist bekannt für ihre Destillate, Schaumweine, PriSeccos, Apfelwein-Cocktails und den „Schwäbischen Cider“, der zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Seit Kurzem bereichern ein Gin und ein Wermut die Produktpalette – was steckt dahinter?

Gin und WEHMUT! sind die Antwort auf Megatrends im Spirituosenbereich. Mit billigem Industriealkohol aus Zuckermelasse, Korn oder Kartoffeln wird ein Riesengeschäft gemacht. Der Aufwand, den wir in unsere Obst-Rohstoffe stecken, ist deutlich höher, bringt aber auch wesentlich aromatischere Produkte. Das wollen wir hier zeigen und die Leute zum Nachdenken bringen – auch in puncto Nachhaltigkeit.

Den großen Durchbruch brachte Ihnen der Schaumwein aus der ‘Champagner Bratbirne’. Lag das auch an dem Begriff „Champagner“, der ja zu Streitigkeiten mit Frankreich geführt hat?

Am Anfang war es ein besserer „Mostsekt“ mit wohlklingendem Namen. Durch den Rechtsstreit mit dem CIVC (Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne) haben wir aber sehr schnell den Weg der Qualität und ständigen Verbesserung ein-geschlagen und es geschafft, auch in der Wahrnehmung von Sommeliers Bewusstsein für einen nicht mehr bekannten Geschmack zu etablieren. Der harte Kampf und die Investitionen führten dann auch zu neuen Produkten.

Verwendet die Manufaktur ausschließlich selbst angebautes WiesenObst, oder kaufen Sie auch Früchte zu? Welche Mengen verarbeiten Sie pro Jahr?

Unser Anbau auf rund 20 Hektar hat nur die Idee Dinge auszuprobieren – resistente Unterlagen, alte Sorten und Anbauformen, die am Ende auch eine Wirtschaftlichkeit in Aussicht stellen, immer in Verbindung mit naturschutzfachlichen Aspekten. Deshalb ist dies das „5. Wagenrad“ im Unter-nehmen, aber ein ganz spannendes, weil wir auch hier wieder Wissen durch die Erprobung weitergeben können. In erster Linie wollen wir aber Menschen wieder stolz machen, durch hohe Auszahlungspreise und gute Produkte in der Fläche so lange wie möglich alte Bäume zu erhalten – dies ist unser Vorsprung gegenüber Nachahmern. Die Mengen schwanken zwischen 500 und 2000 Tonnen pro Jahr inkl. Beeren, Steinobst und Trauben – Tendenz pro Jahr um 15 % steigend.

Der maßgeblich auf Ihre Initiative hin gegründete Verein WiesenObst bietet auch anderen Verarbeitern und Flächenbesitzern die Chance, eine Gemeinschaftsmarke zu nutzen. Glauben Sie, dass sich das schwäbische Kulturgut Streuobstwiese auf diese Weise erhalten lässt?

Ja, ich mache da einfach mal das Zugpferd – unsere Marke Manufaktur Jörg Geiger wäre für unser eigenes Geschäft eigentlich stark genug. Will man aber möglichst viel Fläche landesweit erhalten, macht es Sinn weitere Verarbeiter mitzunehmen, die auch nachhaltig ihre Rohwarenbasis erhalten wollen und ein Herz für die Sache haben. WiesenObst hat klare Kriterien für die Bewirtschaftung aufgestellt (siehe Kasten S. 12) und bietet qualifizierten Mehrwert in puncto Natur- und Landschaftsschutz, die der Verbraucher jederzeit transparent nachvollziehen kann. Trittbrettfahrer sind durch die Kollektivmarkensatzung ausgeschlossen.

Quelle: Magazin Obst & Garten, Ulmer Verlag, Artikel in der Ausgabe Nov. 2019

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