Seit wann genau die Streuobstwiesen im Besitz der Familie sind, weiß Reiner Hofmann nicht. ‚Zum ersten Mal kartographisch erfasst wurden die Flächen 1842‘, erzählt er, in einer der Urkunden habe er einen Hinweis gefunden, dass es die Gemeinde Gingen zu diesem Zeitpunkt durch die Herstellung von Obstbrandwein zu ‚bescheidenem Wohlstand‘ gebracht habe. Verbürgt ist, dass bereits sein Urgroßvater Streuobstwiesen besaß, er war als Handwerker genauso auf den Ertrag von Obstwiesen angewiesen wie die Bauernfamilien am Ort: die Apfel- und Birnbäume, Kirschen, Pflaumen und Mirabellen waren nicht nur wichtig für die Ernährung der Familie, mit Obstbrandwein ließ sich auch etwas Geld zusätzlich verdienen.
Warum Reiner Hofmann sich so für die Geschichte der Streuobstwiesen interessiert, wird klar als wir wenig später am Rand eines Feldwegs stehen und auf eines der ‚Stückle‘ schauen, das vom Wegrand aus steil nach unten abfällt.
Hier stehen gleich drei ‚Baumriesen’: Eine Oberösterreicher Weinbirne und zwei Schweizer Wasserbirnen, ihr geschätztes Alter: 150 bis 200 Jahre. Sein Großvater habe erzählt, dass die Bäume bereits in seiner Kindheit riesengroß gewesen seien. Die Hofmanns kennen und pflegen jeden ihrer WiesenObst Bäume, aber diese drei Giganten haben fast den Status von Familienmitgliedern. Wir klettern den Hang hinab und Hofmann zeigt uns die Stelle an der Schweizer Weinbirne, an der bei einem Sturm ein großer Ast abbrach. Die Bruchstelle ist verheilt, der Baum treibt wieder aus, aber den Ast habe man nicht einfach zerhacken können. Das Holz liegt inzwischen bei einem Instrumentenbauer, der daraus eine diatonische Harmonika bauen wird.
Reiner Hofmann ist Bauingenieur. Er habe bewusst einen Beruf gewählt, der nichts mit Bäumen und Streuobst zu tun hat, weil er sich die Obstwiesen als einen ‚privaten Ort’ erhalten wollte. Die Bäume sollten nie zum Stressfaktor werden und Hobby bleiben. Das allerdings nimmt er äußerst ernst. Hofmann hat virusfreie Unterlagen aus Sämlingen selbst gezüchtet, und natürlich veredelt er auch selbst. Das alles braucht Zeit und Geduld, aber ‚der Samstag gehört den Streuobstwiesen‘. Welche Sorten nachgepflanzt werden entscheidet der Familienrat. ‚Es gibt immer mehr Sortenwünsche als Platz‘, sagt Hofmann.
2016 kauften die Hofmanns zwei Flächen Wiesenland hinzu und pflanzten dort alte Sorten auf Hochstämmen nach. Insgesamt bewirtschaften sie jetzt vier Flächen mit rund 180 Bäumen. Aus einem Teil des Obstes, das nicht sofort gegessen oder zum Kochen und Backen verwand und gelagert wird, pressen die Hofmanns Saft und Most. Und sie setzen Maische an, die sie an eine Abfindungsbrennerei liefern. Was dann noch übrig ist, liefern sie an die Manufaktur Geiger.
Grund für den Zukauf der Flächen 2016 war nicht der Wunsch, noch mehr Obst zu produzieren, sondern die Sorge, dass sie eine ihrer Streuobstwiesen werden aufgeben müssen. Die Fläche mit 70 bis 80 Jahre alten Bäumen liegt direkt neben dem Wohnhaus der Hofmanns. Die Äcker und Obstwiesen, die einmal das Grundstück der Familie vom Ortsrand Gingens trennten, sind nach und nach überbaut worden. Jetzt trennt nur noch eine neu angelegte Straße die Neubausiedlung von der Obstwiese der Hofmanns. Und wenn es nach dem Bürgermeister geht, dann wird auch die bald zu Bauland, die Gemeinde will die Fläche umwidmen, was bedeuten würde, dass die Hofmanns und ihre Nachbarn, die ebenfalls noch eine Obstwiese haben, gezwungen wären, das Land aufzugeben.
In der Diskussion sei sogar eine ‚Baugebot‘, was bedeuten würde, dass die Hofmanns selbst ihren Hausgarten verkaufen müssten: Der Bürgermeister habe die alten Bäume als ‚wertloses Zeug‘ bezeichnet und darauf hingewiesen, dass Obstbäume erhalten würden, schließlich gebe es in der Neubausiedlung ein Pflanzgebot.
Von WiesenObst Bäumen ist in den mit weißem Kies oder Schieferschotter bedeckten Vorgärten jedoch nichts zu sehen. Hinter den Häusern sind nur Blumenrabatten und Rasen zu sehen. Für Hochstämme gäbe es gar nicht genug Platz, sagt Hofmann. Noch hat die Familie die Hoffnung nicht aufgegeben, ihr Stückle mit den alten WiesenObst Bäumen vielleicht doch erhalten zu können. Die kürzlich in einem Baum entdeckten, unter Artenschutz stehenden Juchtenkäfer, könnten noch etwas Aufschub gewähren. Aber optimistisch ist Reiner Hofmann nicht. Die Juchtenkäfer hätten auch die Platanen im Stuttgarter Schlossgarten nicht gerettet und den Baubeginn von ‚Stuttgart 21‘ nur etwas verzögert.
Es wird viele Jahrzehnte dauern, bis die hochstämmigen WiesenObst Bäume, die die Hofmanns auf den neu erworbenen Flächen gepflanzt haben, zu Baumriesen herangewachsen sind. Aber ein Anfang ist gemacht. ‚Die Vielfalt gerade bei alten Obstsorten ist enorm‘, sagt Reiner Hofmann, ‚sie darf nicht in Vergessenheit geraten. Und diese Bäume sind ein enormer Genpool, der für uns noch wichtig werden könnte‘.