WiesenObst – die Mühe der Ernte muss sich lohnen

Die Abfüllanlage ist zunächst nur zu hören. Hoch aufragende, glänzende Edelstahltanks und ein Netz von Leitungen und Röhren verstellen den Blick auf die gewundenen, schmalen Förderbänder auf denen hunderte von Flaschen wie von Geisterhand weiterbewegt werden. Heißer Dampf hüllt die Flaschen ein, die sauber gespült und von ihren Etiketten befreit aus der Reinigungsanlage kommen. Nur makellose Flaschen passieren die Lichtkontrolle und bewegen sich in klackendem Rhythmus auf die Abfüllanlage zu. Sekunden später erscheinen sie wieder, exakt befüllt mit dunkel goldenem Saft. Weiter geht es, vorbei an der Etikettiermaschine, bis sie schließlich kistenweise per Gabelstapler ins Lager gebracht werden – fertig für die Auslieferung.

Ihr Bruder Uli sei für Technik und Abfüllung zuständig, erzählt Karin Stolz. Ihre Schwester Monika sei gelernte Großhandelskauffrau, aber auch sehr praktisch veranlagt und den Gabelstapler handhabe sie wie ein Profi.

2001 legten die drei Stolz Geschwister den Eltern ihren Plan für die Firmenübergabe vor: als gleichberechtigte Eigner und Partner wollten sie den Betrieb gemeinsam weiterführen und ausbauen. Der Vorschlag wurde sofort angenommen. Die Suche nach einem größeren, logistisch gut gelegenen Standort endete in einem Gewerbegebiet in der Nähe von Bad Boll und mit neu gebauten Hallen, in denen wir jetzt stehen.

Um auch für Gastronomiebetriebe interessant zu sein müsse Boller ein volles Sortiment anbieten. Bananen- und Orangensaft, Holundersirup und Mangonektar gehören zum Pflichtprogramm – es gibt keine Fruchtsorte die nicht bei irgendeinem Cocktail ihre Verwendung fände. Und was Gästen in Bar oder Restaurant schmeckt, das möchten sie später auch im Supermarkt kaufen können.

Kür – und Leidenschaft – sind jedoch die Säfte aus schwäbischem WiesenObst. Boller arbeitet nicht mit Konzentrat, sondern mit ‚Direktsaft‘ und das bedeutet, das jede Charge etwas anders ausfällt – je nachdem, wo zu welchem Zeitpunkt geerntet wurde und wie das Wetter war. War es extrem sonnig, haben die Früchte einen hohen Zuckergehalt, zu wenig Sonne, und es bilden sich weder viel Säure noch Zucker, und fehlt das Wasser, kann sich ein Dörrgeschmack entwickeln: der Wassermangel verändert die Aromen. ‚Das Süße-Säure Verhältnis ist absolut entscheidend‘ sagt Karin Stolz. Diese Balance perfekt zu treffen ist eine echte Kunst. Aus Konzentrat hergestellte Säfte schmecken immer gleich, und daran hätten sich viele Kunden inzwischen gewöhnt, sagt Stolz. WiesenObst Säfte spiegeln in ihrem Geschmack und in den Aromen die Vielfalt der Sorten, des Klimas und des Wetters. ‚Die Stärke jeder Sorte macht das Ganze‘.

Die Geschichte der Firma beginnt 1941, damals war Boller eine von mehreren kleinen Keltereien in Bad Boll. Lebensmittel waren knapp, und Stücklesbesitzer darauf angewiesen, ihr Obst so effizient wie möglich zu nutzen. Während des Krieges kümmerten sich Großmutter Stolz und ihre drei Söhne um die Landwirtschaft und die Kelterei. In der Anfangszeit wurde der Saft in großen Glasballonflaschen abgefüllt, die Stücklesbesitzer bekamen das Äquivalent der angelieferten Äpfel in Form von Saft. Schon damals gab es im Wohnhaus der Familie in Boll eine Brennerei, Safttanks und schließlich – viele An- und Umbauten später – auch eine Abfüllanlage.

‚Für unseren Vater war Qualität immer das Allerwichtigste‘, sagt Karin Stolz. Er hatte den Ehrgeiz, das Handwerk des Saftpressens zu erlernen und absolvierte die Ausbildung zum ‚Süßmoster‘ in einem Betrieb im Elsass. Das Ergebnis war, dass ihm oft die Mischung nicht gut genug war, die Balance stimmte nicht, die Aromatik war zu schwach oder der Geschmack nicht vollmundig… ‚Wir mussten oft hunderte Flaschen wieder öffnen und den Inhalt ausleeren damit neu gemischt werden konnte‘, erinnert sich Karin Stolz, ‚er war nicht zufrieden, bis alles perfekt war‘. Und das galt nicht nur fürs Saft mischen. Neben der Kelterei lief der landwirtschaftliche Betrieb mit Johannisbeeren und Kirschen und bei der Ernte mussten auch die Kinder mithelfen. Karin Stolz erinnert sich noch an die Hitze, die endlosen Reihen mit Beerensträuchern, die rot gefärbten Hände… Mit 10 Jahren durfte sie dann an der Saftpresse stehen. Mit 12 war sie alt genug, um Obst anzunehmen und mit 14 vertraute man ihr auch Wiegen und Auszahlungen an. ‚Zeit für Freunde gab es kaum, nur Schule und Betrieb‘.

Karin Stolz wollte zunächst nicht in die Firma einsteigen, sondern ging zur Ausbildung in ein Steuerbüro. Der Umgang mit Zahlen habe ihr schon immer Spaß gemacht, sagt sie. Der Betrieb wuchs jedoch weiter und ihre Mutter hatte zwischen Haushalt, Verkauf und Warenannahme keine freie Minute mehr. Die Töchter beschlossen deshalb, jeweils einen halben Tag pro Woche im Betrieb mitzuarbeiten und dadurch die Mutter zu entlasten. In den 90iger Jahren stieg Karin Stolz schließlich voll in den Betrieb ein – zum einen, weil ihr die Arbeit wirklich Spaß machte, zum anderen, weil sie ihre Aufgabe als eine Herausforderung sah. Ihr Vater war der ‚Süßmost Meister‘ der den perfekt ausgewogenen Saft produzierte. Nur das Verkaufen war nicht seine Sache, ‚verkaufen sollte sich der Saft irgendwie von selbst‘. Bei ihrem Einstieg in die Firma fand Karin Stolz ein Sammelsurium von Etiketten vor, es gab keine Prospekte, kein Werbematerial. Sie begann, sich ins Marketing einzuarbeiten, eine Marke zu entwickeln und aufzubauen… ‚Boller muss mit Firmen konkurrieren, die millionenschwere Werbe- und Marketingbudgets haben. Die Produkte müssen Identität haben und als unsere Produkte erkennbar sein‘, sagt sie.

Äpfel und Birnen werden bei Boller direkt gepresst, für anderes, regionales Obst wie Kirschen und Johannisbeeren werden andere Pressen gebraucht, was sich für die benötigten Mengen nicht lohnen würde, diese Säfte werden für die Mischungen zugekauft. Für biozertifiziertes und konventionelles Obst gibt es selbstverständlich getrennte Annahmestellen. Säfte aus biologisch zertifiziertem Obst waren ein Qualitätsmerkmal mit dem sich Boller schon früh von anderen Herstellern unterschied. Die Vorteile für menschliche Gesundheit und Umwelt, wenn Obst ohne den Einsatz von Herbiziden und chemischen Düngern hergestellt werden, liegen auf der Hand. Für Karin Stolz spielten aber immer auch finanzielle Überlegungen mit: Boller gibt den höheren Ladenpreis, den Kunden für Biosäfte zahlen, an die Anlieferer weiter.

Aber nicht nur das Ernten von Bioobst, die Obsternte überhaupt soll und muss sich lohnen, sagt sie. Wenn sie darüber spricht wird schnell klar, wie wichtig ihr der faire Umgang mit den Anlieferern ist. Wie mühevoll und anstrengend die Ernte sein kann hat sie als Kind erlebt. Bei der Obstannahme, beim Abwiegen und Auszahlen lernte sie die Produzenten kennen, die Familien, deren Stolz auf ihre Bäume, die Qualität des Obstes, das sie ablieferten, die manchmal bittere Notwendigkeit, einen kleinen Nebenverdienst erwirtschaften zu müssen. Als Teenager wurde für Karin Stolz Arbeit und Verantwortungsbewusstsein mit neuen Aufgaben honoriert, die noch mehr Verantwortung erforderten. Schon damals dachte sie, dass sich gute, oft anstrengende Arbeit auch finanziell lohnen muss. Und zertifiziertes WiesenObst ist für sie ein neuer Weg, diese Überzeugung für die Produzenten umzusetzen. Durch die Vielfalt der Apfelsorten, jede mit eigenen Aromen, Süße, Säure und Tanningehalt, sind Säfte und Cider aus schwäbischem WiesenObst etwas ganz Besonderes. In WiesenObst werden Geschmack und Qualität mit Naturschutz, Artenvielfalt und Regionalität vereint. Die WiesenObst Zertifizierung macht es möglich, den Verbrauchern diese Zusammenhänge zu vermitteln: Obst dieser Qualität gibt es nur auf schwäbischen Streuobstwiesen, jede für sich ein Biotop, Habitat für Pflanzen, Vögel, Insekten und Kleintiere. Und über die Zertifizierung können Anlieferer, die diese Streuobstwiesen pflegen und erhalten, finanziell ein wenig besser entlohnt werden. ‚Ich glaube, viele Anbauer haben das volle Potential von WiesenObst noch gar nicht verstanden‘, sagt Karin Stolz. Aber bei Boller möchte man die Annahme von konventionellem Obst weiter reduzieren und die von WiesenObst erweitern. Und vor kurzem wurde in neue Tanks investiert: zwei Millionen Liter Saft können jetzt gelagert werden, genug für zwei Jahre Produktion. Und das ist wichtig, denn Apfelbäume tragen in alternierenden Jahren viele bzw. wenige Früchte. Bisher musste in den ‚schwachen‘ Erntejahren Saft zugekauft werden, jetzt kann der Saft aus erntestarken Jahren eingelagert werden. Wenn genug Stücklesbesitzer ihre Streuobstwiesen pflegen und in einer Art erhalten, die den WiesenObst Kriterien entspricht, dann lohnt sich die Ernte – für die Anlieferer finanziell und geschmacklich für die Kunden, die rund ums Jahr Boller WiesenObst Säfte und bald auch WiesenObst Cider kaufen und genießen können.

garantierte herkunft / tief verwurzelt / echter geschmack